Zum Stück „Geschlossene Gesellschaft“ (2017)

„Geschlossene Gesellschaft“ (Huis clos) ist eines von Jean-Paul Sartres bekanntesten und erfolgreichsten Theaterstücken. Uraufgeführt 1944 in Paris und seitdem mehrfach verfilmt, steht es bis heute weltweit auf vielen Spielplänen und gehört sogar zum Schulstoff.

Können Garcin, der Neurotiker, Estelle, die einfältige Schönheit, sowie die verbittert-scharfzüngige Inès für immer zusammenleben, ohne sich andauernd zu quälen? Die dramateure zürich klären diese Frage in einer humorvollen, erotisch verspielten Inszenierung.

Auf Augenhöhe: Garcin und der Kellner

Auf Augenhöhe: Garcin und der Kellner

Eine Art Hotelzimmer – ohne Fenster, ohne Bett, ohne Spiegel, aber mit elektrischem Licht, das nie ausgeht. Nach und nach werden drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann, von einem geheimnisvollen Kellner in diesen Raum gebracht. Sie kennen sich nicht und haben sehr wenig gemeinsam, bis auf die Tatsache, dass sie tot sind. Sie glauben, dass sie das Zimmer niemals verlassen können; und mit der Zeit glauben sie, dass sie auf ewig dazu verdammt sind, unter den schonungslosen Blicken der Anderen zu leiden und sie im Gegenzug selbst zu quälen. „Die Hölle, das sind die Anderen“ – dieses berühmte Zitat wird gern als ultimative Aussage der „Geschlossenen Gesellschaft“, wenn nicht gar als Kern von Sartres gesamtem philosophischem System verstanden. Aus dieser Sicht zeichnet das Stück ein negatives, bitterböses Bild des menschlichen Zusammenlebens. Sartres kühle, analytische Schreibweise führte mehrfach zu der Behauptung, die „Geschlossene Gesellschaft“ sei mehr Philosophie als Literatur und illustriere bloss die Thesen aus seinem Traktat „Das Sein und das Nichts“.

Unsere Inszenierung

Spiel mit dem Feuer: Estelle mit Inès

Spiel mit dem Feuer: Estelle mit Inès

Die dramateure zürich nähern sich dem Text auf unvoreingenommene Weise – und entdecken in ihm einen Sinn und eine Tonart, die von den obigen Interpretationen weit entfernt sind. Die Bühne ist ein kammerartiger Ort im Jenseits, voll mit den Attributen unterschiedlicher Religionen, eine Kerze in der Mitte. Kein endgültiger Aufenthaltsort; vielmehr Zwischenstation. Auf so engem Raum muss jeder Versuch, in die Einsamkeit zu fliehen, scheitern. Die Figuren sind darauf angewiesen, in Beziehung zueinander zu treten und sich über diese Beziehungen selbst zu erkennen. Regisseur Tobias Grimbacher geht es dabei nicht um ein grausames Opfer-Henker-Spiel, sondern um Sartres zentrale Denkfigur der Intersubjektivität, welche die Beziehungen zu anderen Menschen zum Grundstein der Persönlichkeit erklärt. Durch diese Sichtweise entfaltet der Text eine humorvolle und lyrische Note. Mit einem Mal wirken der eitle Neurotiker Garcin, die oberflächliche Schönheit Estelle und die verbittert-scharfzüngige Inès nicht mehr nur abstossend, sondern verletzlich, sehnsuchtsvoll, aufrichtig – menschlich. Am Ende sind sie „nackt wie Würmer“, genau wie Garcin voraussagte, aber in dieser seelischen Nacktheit können sie ihre Fehler – ja: Sünden – einsehen und akzeptieren; einander vertrauen, statt zu verletzen. Die Hölle, in der sich die Figuren wähnen, ist nur ein Ergebnis misslingender Kommunikation.

Umschlungen: Garcin und Estelle

Umschlungen: Garcin und Estelle

Der Regisseur reduziert damit den Spruch „L‘ enfer c’est les Autres“ auf das, was er wirklich ist: keine universelle Feststellung, sondern lediglich die Aussage eines der Charaktere in einem bestimmten Augenblick. In anderen Momenten scheint das Verständnis füreinander auf, ein Funke von echtem Interesse, von Verlangen oder Mitleid – und zeigt, wie zwischenmenschliches Zusammenleben gelingen kann, symbolisiert durch die brennende Kerze. Als der Streit am heftigsten ist, geht die – vermeintlich verriegelte – Tür auf, aber selbst dann verlässt niemand den Raum. Solange sich Garcin, Estelle und Inès aneinander abarbeiten, solange auch nur ein einziges Streichholz da liegt, um die Kerze wieder anzuzünden, solange sie sich noch etwas zu sagen haben, bleibt Veränderung, Verbesserung, gar Erlösung möglich.

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